Feiertagsstimmung

Vor einem Champions-League Spiel in Dortmund:
es herrscht Vorfreude, Spannung liegt in der Luft.
In den Büros wird der zu erwartende Spielverlauf
diskutiert, in Kollegenkreisen kursieren Tippspiele.
Menschen mit Dauerkarten auf der Südtribüne
sind „everybody’s darling“- für den Fall, sie sind
mal verhindert stehen genug Kumpel Schlange.

Die ersten Fans genehmigen sich mittags
schon mal Pommes-Currywurst, gerne mit Pils,
und ab dem frühen Abend herrscht Ausnahmezustand
in den Stadtbahnen. Die Bilder am den Turmfenstern
des U informieren auch den letzten Nicht-Fußballfan:
heute ist Heimspiel. An diesen Tagen schlagen
die schwarzen und gelben Kickerfiguren
dort oben Salto in Dauerschleife.

Mannschaftsfahrzeuge der Polizei
parken gut sichtbar an wichtigen Fanstationen.
Ihre Insassen wirken gelangweilt bis wachsam,
die „Pappenheimer“ mit Fankennung immer im Blick.

Je nachdem, wie lang die Anreise der Gast-Fans
schon gedauert hat, sind die Cafés am Westenhellweg
von müden Betrunkenen oder selfie-schießenden
Fußballtouristen bevölkert. Viele organisieren
sich in den Fanshops schnell noch das aktuellste
Trikot oder den Schal speziell zum Event.

Wer noch Richtung Stadion unterwegs ist, womöglich
mit dem PKW, schiebt sich an schwarz-gelben
Menschentrauben vorbei, meistens aber sind die
Menschen draußen schneller unterwegs als die Autos.

Während des Spiels dann andächtige Stille über der Stadt-
je nachdem, wie der Wind steht werden Fangesänge
bis in die Nordstadt „übertragen“. Hin und wieder
auch laute Entsetzens- oder Freudenschreie aus
den umliegenden Häusern, bzw. den Kneipen mit
dem richtigen Fernsehkanal.
Und anschließend wahlweise Erleichterung und
Partylaune- oder kollektive Enttäuschung,
dann ist der Abend allerdings schnell gelaufen.

Gestern war er vorbei, bevor er begonnen hatte.
Im Stadion warteten die Massen auf die Ankunft
ihrer Stars. Bis per Stadion- Monitor die Nachricht
von Explosionen am Mannschaftsbus projiziert wurde.
Irgendjemand wollte den Fußball bis ins Mark treffen.
Den Sport? Die Spieler? Die Fans? Dortmund? Deutschland?
Oder aber: deutsche Politik mit Terror in eine andere Richtung lenken.
Bekennerschreiben am Tatort: bisher eher unüblich unter Terroristen.

Den Tatverlauf zu planen muss einfach gewesen sein.
Es gibt sie schließlich. Die Heimspielroutine der Fußballer.
Training. Gemeinsame Einstimmung in einem bestimmten Hotel.
Pünktlich zum Spielbeginn: Fahrt per gut erkennbarem
Mannschaftsbus ins Stadion.
Gesichert wird der Bus von Motorrad-Polizisten-
einer von Ihnen wurde gestern verletzt.

Ebenso der Spieler Marc Bartra:
Hand und Arm in einem Verband
konnte er heute schon wieder für die Fans lächeln.
Gestern abend noch lag eine OP vor ihm- ein Bruch und
Fremdkörper in Hand und Arm- untypische Fußballerverletzungen.

So schlimm die Folgen für die zwei Verletzten sind-
die Verursacher dieses Anschlages hatten wohl ein
noch schlimmeres Szenario im Sinn. Eine Anwohnerin berichtet
von Nägeln, die überall in ihrem Wohnzimmer gelandet sind.
Eine steckte in einer Kopfstütze des Mannschaftsbusses.

Das sonst oft brodelnde Wohnzimmer
des BVB bewahrte die Fassung.
Gastfans aus Monaco stimmten
„Dortmund, Dortmund“-Rufe der Verbrüderung an.
Solidarität statt Konkurrenz.

Betroffen machte man sich auf den Heimweg.
Monegassen wurden von Borussen
in ihren Privatwohnungen einquartiert-
der Abend verlief komplett anders als
geplant, aber offenbar sehr harmonisch.
Bilder von gemeinsamen Frühstücksrunden
kursierten heute in den Medien.

Das Spiel wurde heute schon nachgeholt.
Ohne Bartra, dafür mit maximaler Aufmerksamkeit
aus Politik und Medien weltweit.
„Heute sind wir alle Dortmund“ ist das Profilbild.
Die Fußballer aus Monaco gewannen das Spiel.
Ausnahmsweise ist das ziemlich egal.

Der Verlust der relativ sorglosen Vorfreude auf einen
unterhaltsamen Fußballabend wiegt schwerer.
Sie lässt sich nicht so schnell wieder herstellen.
Die Feiertagsstimmung.

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